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Die Betriebsverfassung 2001
Am 27. Juli 2001 wurde das Betriebsverfassungs-Reformgesetz im Bundesgesetzblatt
veröffentlicht, und schon am 28. Juli trat es in Kraft. Das wäre
alles kein Problem, wenn es das Gesetz schon in lesbarer Form gäbe. Das
Reformgesetz sagt nur, in welchem Paragrafen etwas ergänzt oder gestrichen
oder geändert wird: das hindert die Lesbarkeit enorm. Und dtv kommt mit
der 60. Auflage seiner Beck-Texte zum Arbeitsrecht voraussichtlich erst im
Frühjahr 2002 auf den Markt.
Das
ist bereits als Literatur erschienen:
Reinhard Richardi: Die neue Betriebsverfassung Ein Grundriss.
München: C.H. Beck Verlag. 2001.
ISBN 3-406-48451-4. 312 Seiten, DM 47,00; € 24,50.
Yvonne Trebinger: Das neue Betriebsverfassungsrecht. Bonn: Deutscher
Bundes-Verlag. 2001. ISBN 3-935064-05-5. 152 Seiten, DM 19.80; € 10,10.
Beide Bücher enthalten auch den neuen Gesetzestext. Bei Richardi findet
sich auch eine synoptische Gegenüberstellung.
Diese Links enthalten den kompletten (neuen) Gesetzestext und Synopsen, also
Gegenüberstellungen von altem und neuem Recht:
www.juracity.de/betriebsverfassung.de/downloads.htm
www.bayerischewirtschaft.de/demo/arbeit/dls/synopse.pdf
(sehr gut!)
Wesentliches Ziel der Reform ist, die Bildung von Betriebsräten
zu erleichtern. Die grundlegenden Rechtsänderungen finden sich daher
im Bereich Bildung, Wahl, Größe und Entscheidungsbeteiligung von
Betriebsräten in Unternehmen und Konzernen. Unter anderem wurde ein vereinfachtes
Wahlverfahren für Betriebe von 5 bis 20 Arbeitnehmern eingeführt.
Die neue Betriebsverfassung ist in ihrer Struktur die alte
Betriebsverfassung. Das Reformgesetz hat davon abgesehen, die richterrechtlich
gewonnenen Erkenntnisse in das Gesetzesrecht zu übernehmen. Deshalb bleibt
es dabei, dass die gesetzliche Betriebsverfassung erst durch die Rechtsprechung
des Bundesarbeitsgerichts ihr Profil erhält.
Im folgenden werden nur die wesentlichsten Änderungen angesprochen. Die
Paragrafennennungen sind solche des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG)
Bildung von Betriebsräten vereinfacht
Die Bildung von Betriebsräten wird wesentlich vereinfacht. Während
bisher nur in Betrieben mit mehr als 5 Arbeitnehmern ein Betriebsrat gebildet
werden konnte, kann dies nun schon in einem Unternehmen mit mehr als 5 Arbeitnehmern
geschehen. Für kleinere Unternehmen wurde ein vereinfachtes Wahlverfahren
eingeführt (§ 14a). In Betrieben ohne Betriebsrat kann nur der Gesamtbetriebsrat
einen Wahlvorstand bestellen ("Mentorenprinzip", § 17 Abs.
1).
Auch Definition eines Betriebs hat eine Änderung erfahren und
kann nun wesentlich weiter gesehen werden als früher (§ 1 Abs. 2).
Dementsprechend kann auch der Betriebsrat nun Sparten verbinden, auch betriebs-
und unternehmensübergreifend (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 - 3). Damit wird
der Realität in Wirtschaftsunternehmen Rechnung getragen und die Mitwirkungsrechte
des Betriebsrats erhalten.
Die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten wurde nun auch
im BetrVG fallen gelassen. Das erleichtert die Arbeit des Betriebsrats wesentlich.
Während früher Arbeitnehmer, die einen Betriebsrat gründen
wollten, sich oft außerordentlichen Kündigungen ausgesetzt sahen,
wurde nun ein Kündigungsschutz für die Initiatoren geschaffen:
Hierfür wurde § 15 Abs. 3a in das Kündigungsschutzgesetz aufgenommen.
Verbesserte Bedingungen für die Betriebsratsarbeit
Die Ansprüche an die Arbeit der Betriebsräte sowie die Jugend- und
Auszubildendenvertretung sind gewachsen. Deshalb wurde auch der Stellenkegel
für die Zahl der Mitglieder des Betriebsrats und der Jugend- und Auszubildendenvertretung
vergrößert (§ 9), die Zahl der Freistellungen vergrößert
und die Bildung eines Betriebsausschusses erleichtert (§ 27 Abs. 1, §
9).
In einem neuen § 28a wird die Delegation von Beteiligungsrechten
auf Arbeitsgruppen geregelt. In einem ebenfalls neuen § 103 Abs. 3
erhält der Betriebsrat ein neues Mitbestimmungsrecht bei der Versetzung
von Betriebsratsmitgliedern.
Stärkung der Mitwirkungsrechte
Der Betriebsrat kann nun vom Arbeitgeber die Ermittlung des Bildungsbedarfs
verlangen (§ 96 Abs. 1). In § 97 Abs. 2 wird sein Mitwirkungsrecht
erweitert auf die Mitbestimmung auch bei der Einführung von Bildungsmaßnahmen.
Zur Sicherung und Förderung der Beschäftigung gibt der neue §
92a dem Betriebsrat das Initiativrecht. Entsprechende Anträge muss der
Arbeitsgeber beraten. Will er sie ablehnen, muss er sie in Betrieben mit mehr
als 100 Arbeitnehmern sogar schriftlich begründen (§ 92 Abs. 2).
Die befristet Beschäftigten erhalten Rückenstärkung, wenn es
um Neueinstellungen geht. Nun kann der Betriebsrat für die Neueinstellung
eines Betriebsfremden die erforderliche Zustimmung verweigern (neu: §
99 Abs. 2 Nr. 3), wenn ein gleichgeeigneter befristet Beschäftigter nicht
berücksichtigt wurde.
Auch in Sachen betrieblichen Umweltschutz erhält der Betriebsrat
vermehrte Mitwirkungsrechte, nicht jedoch ein allgemeines umweltpolitisches
Mandat.
Chancengleichheit von Frauen und Männern
Ursprünglich war eine Geschlechterquote vorgesehen, die wurde aber während
der parlamentarischen Beratungen in eine "Mindest-Klausel" umgewandelt:
Das Geschlecht, das in der Belegschaft in der Minderheit ist, muss mindestens
entsprechend seinem zahlenmäßigen Verhältnis im Betriebsrat
vertreten sein, wenn dieser aus mindestens drei Mitgliedern besteht, §
15 Abs. 2. Anzuwenden ist diese Vorschrift jedoch erst mit den neuen Betriebsratswahlen
im Jahr 2002.
Neu sind auch die Förderung von Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie
die Frauenförderung als Gegenstand der Personalplanung.
Keine Diskriminierung von Schwulen und Lesben
Diversity Management hat immerhin in den "Grundsätzen für die
Behandlung der Betriebsangehörigen" (§ 75 Abs. 1) den ersten
Zugang gefunden. Arbeitgeber und Betriebsrat haben darüber zu wachen,
dass jede unterschiedliche Behandlung von Personen "wegen ihrer sexuellen
Identität" unterbleibt.
(Zum Lebenspartnerschaftsgesetz finden Sie Ausführungen hier.)
Kampf dem Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit
Die Auseinandersetzung mit Rassismus und Ausländerfeindlichkeit
soll im betrieb durch eine Reihe von begleitenden Maßnahmen gefördert
werden: Bericht über die Integration der ausländischen Arbeitnehmer,
Thematisierung bei der Betriebsversammlung etc.
Immerhin hat der Betriebsrat nun die Möglichkeit, die Entfernung eines
wegen Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit störenden Arbeitnehmers vom
Arbeitgeber zu verlangen (§ 104). Und er kann für einen Bewerber
die Zustimmung zur Einstellung verweigern, wenn die Besorgnis besteht, dass
dieser den Betriebsfrieden wegen rassistischer oder fremdenfeindlicher Betätigung
stören werde (§ 99 Abs. 2 Nr. 6).
Fazit
Der "große Wurf" hätte durchaus größer sein
können, wenn der Bundestag sich hätte entschließen können,
den Arbeitnehmer-Begriff neu zu bestimmen. Insgesamt erfahren die Arbeitnehmer
eine wesentliche Stärkung ihrer Rechte durch die Tätigkeit und das
leichtere Tätigwerden der Betriebsräte. Nach 30 Jahren tat es gut,
dass die betriebliche Wirklichkeit im Gesetz abgebildet wurde. Nicht jeder
Arbeitgeber sieht dies mit Freude, die Arbeitnehmer tun dies wohl eher.
Volker
Ostler.